Die Heilungsreisenden. Roman.
Jürgen Block, Edition Falkenberg 2016

Die Heilungsreisenden

Kleines Meisterwerk

Annas Krebs kehrt zurück, aber Anna will nicht gleich wieder unters Messer. Viel lieber möchte sie mit ihrem Mann Berti aus dem Alltag ausbrechen, wie man so sagt, wenigstens für ein Weilchen. Möglicherweise wäre die zweite OP ja doch keine so schlechte Idee, zumal das Ungeheuer in ihrem Bauch und damit das Risiko schnell wächst, aber Anna hat Angst - und Berti natürlich auch. Also stimmt er zu, die Taschen nicht fürs Krankenhaus, sondern für eine kleine Reise zu packen. Erst geht es nach München, dann über Umwege nach Weimar, später ins Grenzland zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, anschließend in die Lüneburger Heide.
"Die Heilungsreisenden" erzählt aus der Perspektive des mittelbar Betroffenen: Es ist Berti, von dem wir diesen Reisebericht hören, es sind Bertis Kommentare - oft lakonisch, manchmal sarkastisch, meistens liebenswürdig und immer mit sanft-sorgenvoller Tonalität ausgestattet, wobei die Sorge nicht notwendigerweise nur Anna gilt, sondern zuweilen auch recht egoistisch daherkommt. Oder, wenn man so will: ehrlich.
Vor allem im ersten und überwiegend im zweiten Drittel ist Jürgen Block mit diesem kurzen Roman ein kleines Meisterwerk gelungen. Die Dialoge sind unglaublich frisch, witzig, dicht und lebensecht, eingebettet in präzise und sehr schöne Beschreibungen. Das seit langer Zeit verheiratete Paar ist individuell und im Zusammenspiel wunderbar plastisch gezeichnet, zugleich unprätentiös und spektakulär. Die Auseinandersetzung mit der Krankheit, die die Erzählung übrigens nicht beherrscht, fällt knapp, aber dafür umso deutlicher aus, aber vor allem die besondere Sicht auf die Dinge - nämlich Bertis Sicht - sorgt dafür, dass die Geschichte überzeugt - und, so seltsam das klingen mag, beim Lesen Spaß macht. Großartig auch, dass der Ausbruch eben nicht mit Fernzielen - Karibik, wenigstens europäisches Ausland - erfolgt, sondern in der Nähe bleibt. Dennoch ist die sofortige Rückkehr nie eine Option.
Wenn es etwas Negatives anzumerken gäbe, dann gälte das vor allem dem letzten Drittel, einem Abschnitt, den Block in Form von E-Mails wiedergibt, was formal, stilistisch und dramaturgisch zugleich einen Bruch und eine Art Krücke darstellt. Anders gesagt: Man könnte meinen, der Autor wollte es sich leicht machen. Dies umso mehr, da es sich nur um Bertis Mails handelt, die man hier liest - es wird also vollständig auf ihn fokussiert, auf seine Wünsche und Ambitionen, auf seine Art der Reflexion. Das verdeutlicht zwar einerseits, um wen es in dieser Geschichte geht, andererseits ist es schade, weil der Lesegenuss gerade am Ende spürbar geschmälert wird. Hiervon abgesehen ist "Die Heilungsreisenden" ein originelles, richtig gutes, sehr bemerkenswertes Buch über die Liebe, die Ehe, das Schreiben, den Krebs, die eigenen Träume - und provinzielle Sehenswürdigkeiten im deutschen Flachland.

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pfeil Übersicht: Tom Liehr

Landeier

Tom Liehrs aktuelle Veröffentlichung:
LANDEIER.
ROMAN.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Oktober 2016
ISBN: 978-3499290428
EUR 14,99

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